Israel wurde überrascht, aber nicht überwältigt - Ehemaliger israelischer Botschafter zum Vortrag in St. Anna
Der ehemalige israelische Botschafter Ilan Mor besuchte auf Einladung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) und des Thomas-Morus-Bildungswerks am 06. Mai die Landeshauptstadt und trug seine Einschätzung zu dem gegenwärtigen dramatischen Konflikt vor. Veranstaltungsort war das Bernhard-Schräder-Haus. Über 60 Interessierte waren der Einladung gefolgt.
Nach der Begrüßung durch Georg Diederich und den Vorsitzenden der DIG-Gruppe Schwerin, Carl Kreßmann, ging der ehemalige Botschafter gleich „medias in res“. Er erwähnte zunächst Theodor Herzl (1860-1904) und seine Vision eines „jüdischen Staates“ auf demokratischer, rechtsstaatlicher und laizistischer (!) Basis in Respekt gegenüber anderen Nationen, Religionen und Weltanschauungen. Dieser Staat sei 1948 Wirklichkeit geworden. Er analysierte sodann ohne jegliche diplomatische Zurückhaltung den israelisch-palästinensischen Konflikt. Der brutale terroristische Anschlag des 07. Oktober 2023, ein Tag, der schon heute „Schwarzer Schabbat“ genannt wird, sei ein tiefer Einschnitt in die israelische Geschichte, ebenso wie der Angriff des Iran auf Israel am 14. Februar 2024. Israel habe nach einem kurzen Moment der Überraschung zurückgeschlagen. Doch sei es bislang nicht gelungen, alle Geiseln zu befreien oder auszulösen. Der Schock, im eigenen Land, im eigenen Haus nicht sicher zu sein, sitze tief. Dazu komme die Trauer über den Verlust so vieler geliebter Menschen und die Enttäuschung und Wut angesichts der international abnehmenden Solidarität. Hamas habe das
strategische Ziel, die weltweite öffentliche Meinung gegen Israel aufzubringen, zu einem großen Teil erreicht.
Wie kann es in dieser Situation weitergehen? Ilan Mor sprach sich für einen sofortigen Waffenstillstand aus, der es ermögliche, die Geiseln „zurückzuholen“. Sodann müsse trotz aller Spannungen mit den legitimen Vertretern des palästinensischen Volkes über die politische Befriedung durch eine Zwei-Staaten-Lösung gesprochen werden, wie es auch die US-Administration fordere. Dafür müssten sich beide Seiten aus freiem Willen bewegen. Die gegenwärtige Position der israelischen Regierung unter Benjamin Netanjahu kritisierte er scharf. Der israelische Ministerpräsident verschärfe den Konflikt, weil dieser ihn an der Macht halte. Es müsse in Israel schnellstens zu Neuwahlen kommen, die vernünftige und gemäßigtere Kräfte ans Ruder bringen. Mit den Ultra-Konservativen und ihren „messianischen“ Visionen lasse sich kein Staat machen. Dem Iran müssten von der internationalen Gemeinschaft deutlich die Grenzen aufgezeigt werden. Auf keinen Fall dürfe es zu einer atomaren Bewaffnung dieses Regimes kommen. Das damit verbundene Risiko sei unkalkulierbar. Schlussendlich zeigte sich Ilan Mor überzeugt, dass es Israel gelingen werde, auch in den neuen Konflikten zu bestehen. Der Traum Theodor Herzls sei Wirklichkeit geworden. Dahinter gebe es kein Zurück.
Botschafter a. D. Ilan Mor war in verschiedenen Positionen und Ländern für den diplomatischen Dienst Israels tätig, unter anderem 1992 bis 1996 in Bonn und 2004 bis 2009 als Gesandter Israels in Berlin. Er ist Sohn polnisch-rumänischer Eltern, die den Holocaust überlebt haben und im Staat Israel eine neue Heimat gefunden haben. Ilan Mor lebt heute in Tel Aviv.
Kurt Schanné